Inhalt

Die weiße Frau von Lobas

Station 6
Die Sage

In einer hellen Vollmondnacht lief eine Lobaserin auf dem Weg über die Berge von Kayna nach Lobas. Die ängstliche Frau ging schnellen Schrittes den einsamen Weg entlang. Ein ganz leiser Windhauch ließ die Blätter der Erlen und Weiden dort im Tal am Bache zittern und nur das Plätschern des Wassers unterbrach die Stille der Nacht. Kein Mensch, kein Tier weit und breit.

Mit jedem verdächtigen Geräusch beschleunigte sie ihr Tempo. Aus Furcht vor dem Treiben während der Geisterstunde wollte sie noch rechtzeitig vor Mitternacht zu Hause sein. Sie sah schon die Brücke, die über die Lindenberger Schnauder führte, da schlug plötzlich die noch recht gut hörbare Turmuhr der Kaynaer Kirche zum zwölften Male. Jeder Uhrenschlag wirkte wie ein Stockhieb auf die ängstliche Frau.

Über den beiden Wiesen links und rechts des Weges lag eine unheimliche Stille. Die Bäume am Bach hatten etwas Gespenstisches an sich. Angstvoll beschleunigte die Frau ihre Schritte. Sie hatte ja nun nur noch den letzten Berg zu
überwinden, dann wäre sie schon im Dorf. Doch da, mein Gott, was war das? Löste sich nicht dort von den Bäumen eine Gestalt im weißen Kleide? War es Trug? Nein, das weiße Bild schwebte heran, den rechten Arm im weiten Ärmel erhoben. Ein Schrei klang durch die Nacht: „Die weiße Frau!“

Und eilig rannte, nein jagte das gequälte Menschenkind über die Brücke und die letzte Anhöhe hinauf. Wild schlug das Herz, der kalte Angstschweiß perlte ihr auf der Stirn. Nur weiter, weiter! Nur fort nach Hause! Ein scheuer Blick nach hinten gab ihr dann die Gewissheit. Diese unheilvolle Gestalt schwebte genau auf die ängstliche Frau zu. Ganz starr und fassungslos blieb die Lobaserin stehen. Ihr Herz klopfte ganz laut und schnell, auch der Angstschweiß lief ihr jetzt schon über den ganzen Körper.
Dann fasste sie sich auf einmal Mut und rannte in Todesängsten die Höhe hinauf. Das weiße Gespenst folgte ihr auf Schritt und Tritt. Plötzlich erhob es die Hände, um nach der Frau zu greifen, da bellten auch schon die Hunde im nahen Lobas und sogleich war der mitternächtliche Spuk beendet.

So plötzlich, wie die weiße Frau auftauchte, so schnell verschwand sie auch wieder im Nichts. Mit letzter Kraft schleppte sich die so arg gebeutelte Frau ins Dorf, erreichte noch ihr schützendes Haus und brach darinnen, ihrer Kräfte völlig entledigt, ohnmächtig zusammen. Um sich von ihrem erlittenen Schock zu erholen und wieder auf die Beine zu kommen, musste sie noch eine längere Zeit im Bett verbringen. Nach ihrer Genesung setzte sie nie wieder einen Schritt zu nächtlicher Stunde vor ihr Haus.

Wissenswertes zur Station

Auf der Anhöhe zwischen Lobas und Kayna gelegen, kann man sich mystisch vorstellen wie die weiße Frau entgegengeschwebt kommt. Ein kleiner Pfad führt den Wanderer durch diese schöne Landschaft zur nächsten Station in Kayna.